Neue Zürcher Zeitung. Monatsarchiv: Elektronische Medien

Nonnen und Mönche als High-Tech-Arbeiter

Computerarbeit und Internet-Präsenz amerikanischer Klöster

aus der Neue Zürcher Zeitung vom 30. Mai 1997

    Computer, Maus und Modem erobern auch die Klöster. In den USA haben einige christliche Gemeinschaften High-Tech-Unternehmen gegründet. Andere bieten in Zusammenarbeit mit einer Firma ihre Dienste Verlagen, Ministerien und Universitäten an. Trotz dieser Offenheit für neue Techniken wollen die Klöster ihre spirituelle Verankerung nicht lösen.

   Das Kloster liegt weit abseits im Canyon des Rio Chama, einer Art Stein- und Buschwüste. Wer die lange Fahrt auf der holprigen Landstrasse nicht scheut, trifft auf ein schön gelegenes Gebäude, an dem die Solaranlagen auffallen. Viele junge Mönche leben hier. Das Kloster versuchte früher, Viehwirtschaft zu treiben und Käse herzustellen. Der Ort eignet sich indessen nach Ansicht des Priors nicht dazu. Da unter den Mönchen Künstler, Schriftsteller und Computerfachleute leben, lag die Gründung einer unabhängigen Computerfirma auf der Hand. Die Mönche wollen durch ihre Arbeit professionelle und kreative Webseiten gestalten. Und der Surfer soll daran Freude haben und Entspannung.

Mönche als «Netcitizens»?

    Unter dem Titel «Birth of the Digital Nation» (Wired, April 1997) beschreibt Jon Katz eine neue Generation von Menschen, die Netcitizens. Diese leben seiner Ansicht nach in zukunftsgerichteten, technologisch fortschrittlichen Orten und haben eine bessere und oft unkonventionelle Ausbildung. Zu den Informationen unserer Zeit haben sie fast ungehinderten Zugang. Sie haben Einkommen und Zeit zur Verfügung. Staatliche Eingriffe lehnen sie ab; freier Austausch herrscht in ihrer Welt. Sie sind materialistisch, tolerant, rational, offen gegenüber Argumenten und fern der traditionellen Politik.

    Ausgerechnet in dieser Welt sollen sich auch Mönche und Nonnen zu Hause fühlen? Tatsächlich gibt es etliche Klöster, die mit Computerarbeit Geld verdienen und im Internet präsent sind. Zeitschriften und Zeitungen in den USA haben darüber berichtet. Offensichtlich erregte die Verbindung von Kloster und Computer das Interesse der Öffentlichkeit. Der vermutete Gegensatz zwischen den beiden Welten war wohl der Grund für das Medieninteresse. Es irritiert, dass sich Mönche mit dem beschäftigen, was in einer zukunftsgerichteten Gesellschaft als fortschrittlich gilt. Die Autoren der Artikel bemühten die mittelalterlichen Skriptorien der Benediktiner, um diese neue Form der Mönchsarbeit den Lesern nahezubringen. Im Mittelpunkt standen hauptsächlich die kontemplativen Klöster der Trappisten und Benediktiner. Die Kritik an der gedankenlosen Begeisterung für die Computer, die bald alle Lebensbereiche besetzen, mag ebenfalls zu diesen Berichten geführt haben.

Keine Netz-Euphorie

    Gehören die Computermönche zur Digital Society? Etwa jene von «Christ in the Desert» in New Mexico, einem Kloster, das weit abseits in den Ausläufern der Rocky Mountains liegt? Die darauf angesprochenen Mönche geben sich nüchtern. Es klingt keine «sakrale» Begeisterung mit, wenn sie von Computerarbeit und Internet reden. Für den Prior von «Christ in the Desert» waren die Benediktiner schon immer offen für neue Arbeitsweisen. Er betont aber deutlich den Vorrang spirituellen Lebens. Br. Richard Oliver OSB, Webmaster der Abtei St. John's in Minnesota, kann mit dem Gerede jener, die mit Blick aufs Internet Teilhard de Jardin zitieren und von Konvergenz und globalem Bewusstsein sprechen, nichts anfangen. Er nimmt im Internet zu viele Gruppen wahr, die sich arg in den Haaren liegen.

    Man kann auf den ersten Blick kaum sagen, dass die Mönche zur Digital Society gehören. Der Webmaster von St. John's, einer dynamischen Abtei, der auch eine Universität angegliedert ist, stimmt manchem zu, sieht aber die Unterschiede. So sind die Mönche durch ihre Gelübde eingebunden in eine Klostergemeinschaft, die strukturiert ist durch Gebet, Lesung und Arbeit. Mit diesem Leben setzen die Mönche einen klaren Kontrapunkt zur mobilen, auf Fortschritt bedachten amerikanischen Gesellschaft. Im Gelübde der Beständigkeit klingt nicht nur die Bindung an eine konkrete Klostergemeinschaft, sondern auch die urchristliche, von Hoffnung geprägte Hypomone an, die das Durchhalten in der endlichen Existenz meint. Möglichen Phantasien der Allmacht und der Machbarkeit wird dadurch die Spitze gebrochen.

Die Firma Electronic Scriptorium

    Im Mittelpunkt des Medieninteresses stand das Electronic Scriptorium. Dabei handelt es sich um eine Firma, die heute mit rund 15 Klöstern zusammenarbeitet. Edward Leonhard, Direktor der Firma, lernte Ende der achtziger Jahre die Mönche der Trappistenabtei «Holycross» in den Blue Ridge Mountains kennen. Daraus ergab sich eine Zusammenarbeit bei der Automatisierung des Handels mit Fruchtkuchen. Die Kooperation wurde danach weitergeführt und ausgedehnt. Dabei entwickelte sich die Idee, die auf Pap ier festgehaltenen Daten auch elektronisch zu speichern. Für diese Arbeit bieten die übersichtlichen Gemeinschaften geeignete Voraussetzungen: eine ruhige Arbeitsatmosphäre und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Die Mönche verfügen oft über Fremdsprachenkenntnisse und sind gewohnt, zuverlässig und präzis zu arbeiten. So arbeiten zurzeit rund 40 Mönche und Schwestern aus 15 Klöstern für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, für Bundesministerien, renommierte Verlage und Universitäten.

    Die Tätigkeit bietet den Klöstern viele Vorteile. Es ist für sie leichter, Arbeit und Klosterleben in Einklang zu bringen. Bei der «Web-Weaverin» eines Benediktinerinnenklosters in Minnesota ist die Begeisterung allerdings nüchterner Einschätzung gewichen. Die Tätigkeit sei eintönig und erinnere an Fliessbandarbeit. Auch der Lohnansatz wird nicht mehr diskussionslos hingenommen.

    «Christ in the Desert» hat zuerst mit Electronic Scriptorium zusammengearbeitet. Nach einiger Zeit gründete das Kloster eine eigene Firma, «thescriptorium@christdesert». Die Mönche bieten Dienste an, die zur Herstellung von professionellen Webseiten benötigt werden. Die Dienste sind auf dem Internet abrufbar1. Zu den Kunden des Klosters zählt beispielsweise Santa Fé Travel. Der Prior betont aber, wie wichtig es für die Mönche sei, die Schwerpunkte richtig zu setzen und die Computerarbeit nicht zum Mittelpunkt werden zu lassen.

Missionare im Internet?

    Das Internet wird durch die Klöster sehr intensiv genutzt. Es war für die Klöster eine einmalige Chance, sich unkompliziert weltweit mit ihresgleichen zu vernetzen. Man kann bei den Benediktinern ohne zu übertreiben von einer Internet- Kompatibilität sprechen, sind doch die autonomen Klöster seit langem locker eingebunden in ein Netz von Kongregationen mit unterschiedlichen Akzenten klösterlichen Lebens. Ihre Toleranz Andersdenkenden gegenüber im Internet überrascht auf diesem Hintergrund nicht allzusehr.

    Das Internet selber wird ganz unterschiedlich genutzt. Dienstleistungen (Webseiten) und Produkte (Fruchtkuchen, Wein, Gemüse usw.) werden angeboten, Veranstaltungen ausgeschrieben und von Schwestern und Mönchen publizierte Bücher und Kunstwerke vorgestellt. Sie denken, dass sie in den USA auf diese Weise die Öffentlichkeit besser erreichen als über regionale und überregionale Zeitungen. Natürlich wird das Internet von Klöstern auch als Ort benutzt, um das Ordensleben bekanntzumachen, manchmal auch um zu missionieren. Hier werden ab er sofort klare Unterschiede sichtbar. Das Internet ist für die Benediktiner, die wir besuchten, kein Ort der Proselytenmacherei, sondern eine Plattform benediktinischer Gastfreundschaft.

Internet-Philosophie

    Hintergrund dieser Internet-Präsenz der Benediktiner ist eine bestimmte Philosophie, ja Theologie. Einer der Orte, wo diese Präsenz überlegt und geplant wird, ist St. John's mit seinem Webmaster Br. Oliver2. Wie einst die mittelalterlichen Klöster zu den Pilgern gastfreundlich waren, sind es nun diese Klöster gegenüber den Internet-Surfern - indem sie freien Zugang, Informationen und Gespräche gewähren. Sie beantworten die Anfragen prompt, persönlich und mit Respekt. Aggressive Briefschreiber sind überrascht, überhaupt eine Antwort zu erhalten. Sie sind dies sonst nicht gewohnt. Oft entsteht daraus ein längerfristiger, kritischer Dialog. Das erinnert an die von Katz beschriebenen Netcitizens. Diese sind für ihn von Grund auf tolerant und die erste Generation, für welche Werte wie «pluralism and diversity» weder kontrovers noch ungewohnt sind. Ganz in diesem Sinne plädiert Bruder Oliver für präzises und sparsames Programmieren der Webseiten. Kritik übt er gegenüber jenen, die jede sogenannte Innovation mitmachen, ihre Webseiten mit Graphiken vollstopfen und damit weniger gut bestückten Surfern den Zugang zu Informationen verschliessen.

Bescheidene Schweizer Aktivität

    Und die Schweiz? Hierzulande ist der Gebrauch der Computer in den Klöstern recht verbreitet. Sie werden vor allem für den Unterricht, die Administration und die graphische Gestaltung von Zeitschriften eingesetzt. Die Präsenz im Internet ist allerdings noch bescheiden. Einsiedeln und Engelberg werden im Herbst via Internet erreichbar sein. Interessant ist der lebendige Auftritt des Frauenklosters Wurmsbach am Obersee3.

Lorenz Stampa

1 http://www.christdesert.org/

2 http://www.saintjohnsabbey.org/

3 http://www.kath.ch/wurmsbach/

© AG für die Neue Zürcher Zeitung NZZ 1997